Investoren ignorieren die Gesetze und Auflagen

Erneut verstoßen die Investoren am Bahnhofswald dreist und eklatant gegen die Artenschutzbestimmungen. Die Investoren haben scharfe Lichtstrahler auf dem Dach des Hauptpost-Gebäudes angebracht, die Tag und Nacht den bewaldeten Hang zur Schleswiger Straße (und die Wohngebäude dort) anstrahlen. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Verbot, den bewaldeten Hang mit dem Fledermaus-Habitat direkt zu beleuchten, wie es im B-Plan 303 Hauptpost festgelegt ist

6.10 Artenschutzrechtliche Maßnahmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB)

Bauzeitenregelung
Bäume mit einem Baumdurchmesser von mindestens 50 cm in 1 Meter Höhe dürfen abweichend von der gesetzlich vorgeschriebenen Fällfrist nur im Zeitraum mit der geringsten zu erwartenden Fledermausaktivität vom 1. Dezember bis zum 30. Januar des Folgejahres gefällt werden. Ausnahmsweise sind Fällungen auch außerhalb der Frist möglich, sofern die Genehmigungen der zuständigen Behörden vorliegen (gem. § 67 BNatSchG).

Minimierung von Lichtemissionen
Zur Minimierung von Lichtemissionen (Vermeidung von negativen Auswirkungen auf das Landschaftsbild und die Tierwelt) …. Die Abstrahlung von Licht nach oben und und in Richtung des Gehölzbestandes sind durch die Verwendung von Lichtleitblechen vollständig zu unterbinden.
Lichtpunkthöhen > 8 m über Gelände sind ebenfalls unzulässig. Nicht zwingend erforderliche Lichteinträge in die privaten Grünflächen mit der Zweckbestimmung „Naturnahe Gehölzfläche“ sowie die Maßnahmenfläche sind zwingend zu vermeiden.

Nach dem Fällen von Bäumen, die seit dem 1. Februar laut Bebauungsplan nicht hätten gefällt werden dürfen, und dem Schreddern dieser Bäume ohne eine Untersuchung auf vorhandene Fledermäuse entgegen dem Tötungsverbot des §44 BNSchG („Es ist verboten, 1. wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören,…) ist das bereits das dritte Mal innerhalb von nur 2 Wochen, dass die Investoren die Naturschutzgesetze und die ihnen gemachten Auflagen hemmungslos ignorieren. 

Kann man solchen Leuten noch vertrauen? Sie beweisen von Mal zu Mal überdeutlich, dass ihnen ihre Privatinteressen über alle Gesetze gehen, dass sie nicht gewillt sind, sich an die erteilten Auflagen zu halten oder die Gesetze zu beachten.

Die Liste der Gründe, weshalb ihnen sofort die Baugenehmigung entzogen werden muss, wird immer länger!

Amateurfoto. Lichtstrahlen auf dem Gebäude der Hauptpost in Richtung Wald und Wohnhäuser auf dem Hang.

„Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!“ (Günter Eich)

Nach der Räumung und Rodung eines großen Teils des Bahnhofswaldes am vergangenen Wochenende haben die Bürgerinitiative Bahnhofsviertel und die Böömdörper ihre über fünf Monate durchgehaltene Mahnwache an der Bahnhofstraße beendet. Dies in Form einer würdevollen und bewegenden Trauer-Zeremonie, bei der Pastorin Veronika Landbeck, Thomas Gädecke, Günter Strempel und Sabine Scholl tröstende Worte für die Versammelten fanden.

„Trotz allem unglaublichen Einsatz haben wir die Bäume nicht retten können – aber es war keinesfalls umsonst!“ Die entstandene Gemeinschaft, die vielen Gespräche mit Passant:innen wirken fort. Diese Menschen werden auf die Äußerungen der Investoren und der Verwaltung nicht mehr hereinfallen. Und es gibt weiterhin viel zu tun, um den Rest des Waldes zu retten und eine Wende in der Stadtentwicklung zu erreichen, so dass Naturschutz einen ganz anderen Stellenwert bekommt. Der Kampf geht weiter – in anderer Form.

An dem Bauzaun wurden zahlreiche Trauerkränze angebracht mit den Steckbriefen der gefällten Bäume, sowie Traueranzeigen für das zerstörte Habitat.

Fotos: BI Bahnhofsviertel Flensburg

Ein Kranz für jeden der gefällten Bäume.
Ein Kranz Im Gedenken an jeden einzelnen gefällten Baum.
Der Platz, an dem die Bäume an der Bahnhofstraße standen. Eine Riesenlücke, bereit mit viel Beton geschlossen zu werden. Massive und brachiale Stadtentwicklung.

Zur Erhaltung des Bahnhofswaldes

In einem Brief an die Flensburger Ratsfraktionen schreibt der gebürtige Flensburger Prof. Dr. Pierre Ibisch, deutscher Biologe und Professor für „Nature Conservation“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Sehr geehrte Mitglieder der Ratsversammlung der Stadt Flensburg, 
sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe das Privileg gehabt, in meinem Leben bereits viele Wälder auf allen Kontinenten bereisen und erforschen zu können. Dazu gehörten vor allem die Wälder Amazoniens oder der südamerikanischen Anden, aber genauso auch boreale Wälder Russlands oder die europäischen Buchenurwälder. Es war mir bereits vergönnt, mich für Millionen Hektar umfassende Schutzgebiete einsetzen zu dürfen, ein grenzüberschreitendes Biosphärenreservat im Altai-Gebirge mitzubegründen oder Wäldern in verschiedenen Ländern Europas zum UNESCO-Weltnaturerbestatus zu verhelfen. In letzter Zeit habe ich mich mit Mitarbeiter*innen für die Erhaltung des Hambacher Forsts oder des Dannenröder Forsts eingesetzt, wir werben u.a. für die pflegliche Behandlung des ältesten Buchenwaldes Deutschlands, die Heiligen Hallen in Mecklenburg-Vorpommern oder des Leipziger Auwaldes. In ganz Deutschland treten wir für eine Waldwende ein und einen ökosystembasierten Umgang mit den geschädigten Waldflächen, die unter Klimawandel und einer intensiven Forstwirtschaft leiden.

So viele Wälder, unermessliche Werte, so viele Sorgen. Die große Ökosystemvergessenheit bewirkt, dass wir weltweit Wälder übernutzen, zerschneiden, zerstören und überbauen. Überall leiden Wälder, verbrennen, vertrocknen und kollabieren. Es geht um große Flächen, es geht um viel. Kommt es da auf ein paar Bäume mehr oder weniger noch an, wenn sie doch dem Bau von benötigter Infrastruktur, der wirtschaftlichen Entwicklung, dem menschlichen Fortschritt im Wege stehen? Zählen da die paar Bäume des Flensburger Bahnhofswaldes? Ich denke: Durchaus.

Letztlich sind es überall mehr oder weniger kleine lokale Entscheidungen: Hier müssen Bäume für einen Acker weichen oder für die Herstellung von Papier, dort müssen sie Platz machen für einen Tagebau, eine Autobahn, eine neue Tesla-Fabrik – oder eben ein Hotel. Die vielen kleinen Entscheidungen gegen die Natur und gegen die Wälder tragen zum beschleunigten und globalisierten Verlust der biologischen Vielfalt und der Regulationsfähigkeit unserer Biosphäre bei. Die vielen kleinen Scharmützel allüberall sind am Ende unser Krieg gegen die Natur und unsere Lebensgrundlagen. Das klingt pathetisch, und das ist es auch. Ich habe die Wälder der Erde erleben dürfen – in Süd- und Nordamerika, in Europa, Asien und Afrika. Und nur in wenigen Gebieten geht es den Wäldern gut.

Ich habe schon viele Wälder gesehen, aber der Flensburger Bahnhofswald gehörte zu meinen ersten, damals als meine Mutter mich im Kinderwagen an den Bäumen vorbeischob, die jetzt über ein halbes Jahrhundert älter geworden sind. Die Sorge um die Natur und die Wälder ließen mich von Flensburg aus aufbrechen, um Biologie zu studieren, auf Forschungsreisen zu gehen, Ökologe und Naturschützer zu werden. Dennoch und gerade deshalb berührt mich in besonderem Maße, wie meine Geburtsstadt Flensburg im waldärmsten Flächenland Deutschlands mit den kleinen Waldrelikten umgeht, die geblieben sind.

Es ist völlig richtig, anderswo – und ich war daran beteiligt – versucht man, Wald wieder aufzuforsten. Und es fällt sehr schwer. Es ist viel schwerer etwas gutzumachen, als etwas zu zerstören. Man bemüht sich um die Anlage kleiner neuer Gehölze, um der Natur zu helfen, und vor allem auch den Menschen. In den Städten schwillt derzeit der Diskurs zur ökosystembasierten Klimawandelanpassung an.

Wir selbst haben mit unserer Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde in Brandenburg ein Projekt der Deutschen Klimawandelanpassungsstrategie mit der Stadt Bernau bei Berlin durchgeführt. Dort ging es darum, gemeinsam mit der Stadtverwaltung und für und mit Bürger*innen zu erfassen, wie die Stadt zur Kühlung und Wasserrückhaltung beitragen kann. Wir konnten wissenschaftlich zeigen, wie Baumgruppen und kleine Gehölzinseln zur effektiven Kühlung der Stadt beitragen. Das ist nicht neuartig – weltweit gibt es entsprechende Studien und Bemühungen um naturbasierte Lösungen zu Verbesserung des Stadtklimas. Im Falle von Bernau hat sich die Stadt im Rahmen des Projektes zu einer Leuchtturmmaßnahme entschieden. Der Bürgermeister macht sich persönlich für die Idee stark. Just vor dem Bahnhof der Stadt soll der Vorplatz entsiegelt und begrünt werden. Er ist im Laufe der Zeit zu einem der heißesten Orte geworden. Nunmehr soll repariert werden, was zuvor zerstört wurde.

Ich wertschätze und unterstütze das Engagement der Flensburger*innen, die sich für den Bahnhofswald einsetzen und sich nun auch noch einmal mit einem Appell an Sie wenden. 

Mir ist bewusst, dass die Planungen zur Bebauung des Grundstücks des Bahnhofswaldes weit fortgeschritten sind. Aber sicherlich wäre es eine souveräne Entscheidung, jetzt noch einmal alles auf den Prüfstand zu stellen und sich für eine ‚kleine‘ Grünfläche zu entscheiden und damit ein starkes Signal für die ökologische Stadtentwicklung auszusenden. Es wäre eine große Entscheidung für die Menschen Flensburgs – jene, die sich für die Erhaltung des Bahnhofswaldes einsetzen und Sie um diese Kulturtat bitten, und alle anderen, die sich am kleinen Bahnhofswald erfreuen werden. Aber auch für Menschen in der Zukunft, die hoffentlich erkennen werden, dass Sie nunmehr mit dieser Entscheidung eine Wende einleiteten.

Vor allem werden Sie sich für Leben in der Stadt entscheiden können, für lebende Organismen und für Arten, denen überall der Lebensraum schwindet.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Pierre Ibisch

Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Ibisch
https://de.wikipedia.org/wiki/Hochschule_für_nachhaltige_Entwicklung_Eberswalde

Fotos von Bäumen des Bahnhofswaldes

Der Bahnhofswald besteht zu einem Teil aus bis zu 140 Jahre alten Alleebäumen. Einige dieser Bäume sind unter http://www.grain.one/wald/wirsindwer/ portraitiert.

Der Baum mit der Nummer 42 (Foto) beispielsweise hat einen mächtigen, hohlen Stamm und stellt ein großes Fledermausquartier dar. Unter dem Link sind viele weitere Baumfotos zu sehen sowie Hintergrundinfos zum Bahnhofsumfeld und Infos zur Online-Petition bei change.org.
Im erhaltenen Teil der Valentiner Allee südlich des Bahnhofs können einige der alten Baumriesen ganz aus der Nähe und offiziell besucht werden.