Demokratiedefizit in Flensburg: Offener Brief von Bürgerinitiativen an Oberbürgermeisterin Simone Lange und Stadtpräsident Hannes Fuhrig

Bürgerinitiativen kritisieren Verfahren der Bürger*innenbeteiligung und fordern Simone Lange und Hannes Fuhrig zum Gespräch auf

Anlässlich der Sitzung der Flensburger Ratsversammlung am morgigen Donnerstag und der anstehenden Beschlussfassung zum Bebauungsplan „Hauptpost“, haben sich mehrere Bürgerinitiativen in einem offenen Brief an Oberbürgermeisterin Simone Lange und Stadtpräsident Hannes Fuhrig gewandt. Dabei geht es nicht nur um Kritik an dem Hotel-Projekt am Bahnhof sondern ebenso auch um den grundsätzlichen Umgang der Stadt mit den Bedenken und Forderungen der Bürger*innen bei Vorhabenplanungen und Entscheidungen von Stadt und Politik. Gleichzeitig wird von den Bürgerinitiativen in diesem Zusammenhang ein erhebliches Demokratiedezit beklagt:

Kritik am Hotelprojekt am Bahnhof: Mehr dazu von der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel in ihrem Flyer

Offener Brief für ein zeitgemäßes Demokratieverständnis:

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Lange,

sehr geehrter Herr Stadtpräsident Fuhrig,

am Donnerstag, den 25. Juni soll in der Ratsversammlung über das umstrittene Bauvorhaben Bahnhofshotel und Parkhaus abgestimmt werden. Es gab bisher viele Proteste in den letzten Monaten. Am letzten Samstag stand die Bürgerinitiative Bahnhofsviertel auf dem Wochenmarkt und kam mit Passanten ins Gespräch. Viel Zuspruch gab es für den Versuch, das kostbare Innenstadt-Wäldchen zu retten. Eine bemerkenswerte Anzahl von Personen erklärte, dass sie mittlerweile resigniert hätten, denn „die Stadtverwaltung trifft ihre Entscheidungen sowieso ohne uns“ und „zieht ohnehin durch, was sie selbst will“.
Manche gingen noch ein Stück weiter und vermuteten sogar Korruption, zumindest aber starke Abhängigkeiten und Verflechtungen, im Volksmund Filz genannt.
Resignation wurde recht oft geäußert und das ist erschütternd. In einer so weltoffenen Stadt wie Flensburg kann das doch nicht gewollt sein. Wie kommt es dazu?

Am Beispiel des Bahnhofshotels wird deutlich, dass Bürger sich nicht nur gegen die örtliche Umweltpolitik wehren, sondern auch gegen den einseitigen politischen Führungsstil der Verwaltungsspitze in Flensburg. Argumente gegen das Vorhaben wollen nicht gehört werden, ein Dialog wird nach Kräften vermieden – weil dann nämlich klar werden würde, dass nicht nach Sachlage, sondern nach anderen Kriterien voreilig beschlossen wurde, zum Vorteil der Investoren. Wenn nach anfänglicher Zustimmung das Bauvorhaben nochmal deutlich verändert wird – wie im Fall des Bahnhofshotels, das nachträglich zu einem monströsen Gebäudekomplex auf einem unpassenden Baugrund ausgeweitet wurde – dann sind Fragen natürlich lästig. Also sitzt man die Fragen aus. Im Gespräch könnte man hinterfragen und Argumente widerlegen. Entscheidungsbefugte in Verwaltung und Politik werden angewiesen, Bürgern gegenüber zu schweigen; Investoren wird geraten, auf Bürgerfragen nicht zu antworten. So ist es tatsächlich im Fall des Bahnhofsvorhabens geschehen.
Ähnlich verhält es sich mit konkreten Angaben zu Baumfällungen im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen am Museumsberg. In keiner Veröffentlichung gibt es dazu konkrete Informationen.

Leider kein Einzelfall. Das können sämtliche Bürgerinitiativen berichten! Es ist jeweils ein anderer Sachverhalt, aber die gleiche Vorgehensweise seitens der Verwaltung.
Da überrascht es nicht, wenn sich Ohnmachtserlebnisse auf Bürgerseite einmal Luft machen, wie bei der Zusammenkunft der Flensburger Stadtteilforen mit Fraktionsmitgliedern und dem Stadtpräsidenten am 10.6.2020. Aus vielen Foren wurde Kritik an der Art und Weise geäußert, wie Bürger an Entscheidungen beteiligt werden: Es wird lediglich informiert, die Bürger sollen aber nur die Information entgegennehmen und keinesfalls Kritik, abweichende Informationen oder Gegenvorschläge einbringen: „Bürgerbeteiligung“ als Einbahnstraße. Verstanden wurde dieser Unmut  vom Stadtpräsidenten als Versuch, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen. Dabei geht es um mehr Demokratie, um Transparenz, um Dialog und die Abkehr von einer Gutsherrenart, mit der Bürger auf Distanz gehalten werden sollen. Diese Burgmentalität ist in Flensburg leider ständig anzutreffen.
Hier sei auch die Änderung bei der Bürgerfragestunde erwähnt: Fragen dürfen eine Woche vorab gestellt werden, aber die spontane Zusatzfrage ist nicht mehr möglich.
Ist nicht Demokratie ein System, in dem selbstbewusste Bürger in der Gewissheit leben, dass sie Einfluss auf ihr Leben und die Geschicke ihrer Stadt haben?
So erleben sich die Flensburger offensichtlich nicht.

Durch eine echte Bürgerbeteiligung wird das demokratische System keineswegs demontiert, aber sinnvoll ergänzt! Wenn nämlich spürbar wird, dass eine Stadtverwaltung in der Manier L’État c’est moi! regiert, dann braucht es Gegengewichte. Dazu gehört unbedingt, dass man Ratsleuten genug Zeit gewährt, um Beschlussvorlagen verarbeiten zu können, aber auch eine ehrliche Dialogbereitschaft mit Menschen, die sich für die Zukunft ihrer Stadt einsetzen wollen.

Insbesondere wenn es um den Erhalt und den Schutz der Umwelt geht, darf man die Bürger auf keinen Fall so entmündigen, wie man es derzeit tut. Die Folgen betreffen schließlich alle. Genau das wurde an Reaktionen der Passanten sehr deutlich, die sich am Samstag auf dem Flensburger Markt aussprachen. Die Mängel bei der Bürgerbeteiligung wurden Frau Takla Zehrfeld z.B. auch schon schriftlich vorgetragen. Es geschah nichts.

Wann kommen wir endlich mit Ihnen darüber in ein ehrliches Gespräch?

Es geht schließlich um unsere Zukunft in unserer Stadt und die ist es uns wert!

Gez.

Bürgerinitiative Bahnhofsviertel

Vorstand der Bürgerinitiative Flensburger Hafen e.V.

Flensburger Norden e.V.

Aktionsgruppe Klima Flensburg

IG Ostufer

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Über bibahnhofsviertel

Günter Strempel und ich sind gemeinsam Sprecher der Bürgerinitiative Bahnhofsviertel Flensburg. Unser Anliegen gilt dem Erhalt des Bahnhofswaldes sowie der langjährigen Entwicklung des Viertels. Dabei sollten die endgültige Funktion des Bahnhofs, der Umzug der Brauerei und die Planung der Post berücksichtigt werden.

4 Gedanken zu „Demokratiedefizit in Flensburg: Offener Brief von Bürgerinitiativen an Oberbürgermeisterin Simone Lange und Stadtpräsident Hannes Fuhrig

  1. Es ist schon erstaunlich, wie sich die Mehrheit der Flensburger Ratsparteien dagegen wehrt, ein Mehr an Demokratie in der Stadt zuzulassen und den Bürger*innen zusätzliche Mitwirkungs-, Mitsprache- und Anhörungsrechte zu gewähren, wie sie die Gemeindeordnung ausdrücklich vorsieht. Das wurde besonders beim Streit um die neue Geschäftsordnung der Ratsversammlung deutlich.
    Dabei begründen die Politiker*innen dies damit, dass wir nun mal in einer repräsentativen Demokratie leben würden und nur die gewählten Ratsvertreter*innen die politischen Entscheidungen treffen würden. Und im Übrigen könne man sich ja in den Parteien engagieren. Nur ist damit das Wesen der repräsentativen Demokratie, zu der ja auch die Möglichkeit von Volksbegehren und -entscheiden gehört, offensichtlich nicht ganz verstanden worden. Repräsentative Demokratie heißt ja nicht, dass ausschließlich die Parteien und ihre Vertreter*innen über das Schicksal der Bürger*innen entscheiden. Im GG Art. 21 heißt es zu den Parteien: „(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Also sie wirken lediglich mit. Und haben damit eine ähnliche Funktion im poltischen System wie Verbände, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse, Bürgerinitiativen, Interessenorganisationen, Medien, etc. Das ist das eigentliche Wesen der Demokratie im Sinne eines umfangreichen politischen Diskurses, bei dem mögliche politische Entscheidungen je nach Interessenlage bei breiter Beteiligung aller Betroffenen ausführlich und kontrovers abgewogen und verhandelt werden. Inwieweit die Parteien eben diesen Diskurs tatsächlich aufnehmen und entsprechend in eigene politische Forderungen und Ziele umwandeln, ist dann eine andere Frage. Sie sind insofern nur wichtig, wenn es um die Bündelung politischer Interessen geht und deren Durchsetzung im (Kommunal-)Parlament.
    Und wenn mehrheitlich die in der Ratsversammlung vertretenen Parteien und ihre Mandatsträger*innen ebenso behaupten, sie würden die Bürger*innnen der Stadt vertreten, obwohl gerade einmal 35% der Flensburger Wahlberechtigten deren Kandidati*innen bei der letzten Kommunalwahl ihre Stimme gaben, zeugt das wenig von Einsicht bei den Kommunalpolitiker*innen, dass es gerde deshalb umso notwendiger ist, einen fairen Diskurs mit den Bürger*innen zu führen und sie in die politische Entscheidungsfindung auf Augenhöhe einzubinden. Sonst wird die kommunale Demokratie nicht nur in Flensburg zur Angelegenheit einer Minderheit, ohne die Bereitschaft den Willen der Bevölkerung wirklich zu repräsentieren, Das sorgt dann für noch mehr Politikverdrossenheit und ´Wahlmüdigkeit. Und es schadet dann erst recht der Demokratie.

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